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Solidarität für unsere betroffenen Studierenden und ihre Familien: Stellungnahme der Studierendenvertretung zum Umgang mit dem Gazakrieg und der Diskussionskultur an unseren Universitäten

27.05.2024

Solidarität für unsere betroffenen Studierenden und ihre Familien:
Stellungnahme der Studierendenvertretung zum Umgang mit dem Gazakrieg und der Diskussionskultur an unseren Universitäten


Die Studierendenvertretung der LMU (StuVe) ist sich bewusst, dass es außerhalb ihrer Kompetenz liegt, in einem einzelnen Statement den Nahostkonflikt in seiner Gesamtheit und hohen Komplexität zu erfassen. Wir sehen es als notwendig an, in der aktuellen Situation unsere Solidarität für betroffene Studierende unserer Universität und deren Familien auszusprechen und zu einem konstruktiven Diskurs aufzurufen.


Hierbei setzen wir uns insbesondere dafür ein, dass an unserer Universität und in unserer Gesellschaft ein demokratischer, kooperativer und friedlicher Austausch auch über emotional aufgeladene und hochkomplexe Themen möglich sein muss. Sowohl das Vorgehen der Terrororganisation Hamas als auch das der israelischen Regierung und des Militärs dürfen und sollen differenziert kritisiert werden. Als wissenschaftliche und demokratische Gemeinschaft sind wir überzeugt, dass ein offener und respektvoller Dialog der beste Weg ist, um Verständnis und Toleranz zu fördern und sich wieder als Menschen zu begegnen, nicht nur als Mitglieder verschiedener Gruppen.


Die StuVe kritisiert insbesondere die polemische und polarisierende Sprache, welche insgesamt den Diskurs zu diesem Thema prägt, und eine produktive Diskussionskultur verhindert. Mit größter Besorgnis beobachten wir, dass aktuell die Sprache unter den Studierenden, der Universität und in anderen Teilen der Gesellschaft im Diskurs um den Umgang mit Israel und Palästina sehr durch die emotionalisierende Nutzung von Schlagworten wie “Kindermord”, “Antisemitismus” oder “Genozid” als Kampfbegriffe geprägt ist, was einem konstruktiven Diskurs abträglich ist und oft zu unüberwindbaren Barrieren zwischen den verschiedenen Akteur*innen führt. Als weiteres Problem sieht die StuVe verallgemeinernde Formulierungen, die oft nicht zwischen dem Staat Israel, der israelischen Regierung, dem israelischen Militär und der israelischen Zivilbevölkerung sowie deren Vielschichtigkeit unterscheiden. Als besonders inakzeptabel sehen wir das Gleichsetzen aller jüdischen Personen mit Israel. Auch besorgt uns, dass Kritik am Vorgehen der Israel Defense Forces (IDF) oder der israelischen Regierung oft mit Unterstützung für die Terrororganisation Hamas oder der Relativierung von Terror gleichgesetzt wird.


Ferner spricht sich die StuVe gegen die inflationäre, undifferenzierte Nutzung des Begriffs “Antisemitismus” in Bezug auf Äußerungen zum Gazakrieg oder dem Verhalten der israelischen Regierung aus. Im Zuge des Konflikts in Gaza ist eine deutliche Zunahme antisemitischer Äußerungen, sowie insbesondere israelbezogener Antisemitismus zu beobachten [1]. Allerdings beobachten wir auch oft eine pauschale Unterstellung antisemitischer Beweggründe gegenüber Personen, die Kritik am Vorgehen der IDF äußern oder arabische Kulturen oder muslimische Glaubensrichtungen ausleben. So ist zum Beispiel die Unterstellung, dass alle Personen, die ein Kopftuch tragen, Terror unterstützen und gutheißen würden, absolut inakzeptabel. Auch das Tragen einer Kufiya ist nicht automatisch eine antisemitische Meinungsäußerung, auch wenn diese von Personen, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennen oder antisemitische Haltungen vertreten, oft instrumentalisiert wird.

Solche Verzerrungen führen dazu, dass sich Studierende, die sich aus kulturellen, religiösen oder ästhetischen, sowie anderen nicht-politischen Gründen für das Tragen bestimmter Kleidungsstücke entscheiden, Diskriminierung erfahren. Weiterhin ermöglicht diese Entstellung des Antisemitismusbegriffs, dass Personen, die Antisemitismus propagieren, sich leichter als Opfer statt als Täter*innen darstellen können. Dies fördert die Verbreitung von Antisemitismus in der Gesellschaft. Die StuVe fordert daher dazu auf, den Vorwurf des Antisemitismus wohlüberlegt und nur nach individueller Prüfung zu gebrauchen, die Vermutung einer feindlichen oder intoleranten Gesinnung insbesondere in Bezug auf Kulturausdrücke (wie das Tragen traditioneller Kleidungsstücke) zu verneinen und zu bedenken, dass situationsbezogene und differenzierte Kritik am Vorgehen von Regierung oder Militär des Staates Israel nicht automatisch antisemitisch ist [2].


Die StuVe fördert und unterstützt grundsätzlich Proteste und Diskursangebote von Studierenden, insbesondere auch diejenigen, die sich für einen Frieden in Gaza einsetzen wollen, ohne extremistische und antisemitische Positionen zu vertreten. Allerdings kritisieren wir spezifisch im Kontext der aktuellen Proteste gegen das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza, dass die Studierendenproteste von antisemitischen Organisationen unterwandert oder übernommen werden. Diese missbrauchen den Vorwand, für Frieden einzustehen, um zu Gewalt und zur Auflösung des Staates Israels aufzurufen oder diese Haltungen zu unterstützen. Wir rufen die Studierendenschaft dazu auf, für ihre Überzeugungen konstruktiv einzustehen, ohne sich von extremistischen Gruppen vereinnahmen zu lassen.


Wir stehen als Ansprechstelle für alle Studierenden zur Verfügung, die solche Proteste und Diskurse organisieren wollen. Auch fordern wir vonseiten der Universitäten, Landesregierungen und der Bundesregierung, sich gegen Spaltung und Vereinfachungen einzusetzen und stattdessen eine differenzierte, konstruktive Diskurs- und Protestkultur zu fördern und auf diese einzugehen. In jedem Fall fordert die StuVe von Organen der Staatsgewalt einen zurückhaltenden, konstruktiven, differenzierten und möglichst friedlichen Umgang mit  Studierendenprotesten.Wir verurteilen nachdrücklich die Personen, die durch ihre Rhetorik und Protestformen dazu beitragen, die Spannung innerhalb unserer Universitätsgemeinschaft zu fördern.


Die StuVe fordert die Einhaltung der Menschenrechte und ein menschenwürdiges Vorgehen aller Parteien im Nahen Osten. Wir fordern von allen Parteien dem Schutz von Zivilist*innen, der Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit Essen, Trinken, Strom, medizinischem Bedarf und weiteren lebensnotwendigen Materialien sowie dem körperlichen und geistigen Wohlbefinden der Zivilbevölkerung oberste Priorität einzuräumen.


Die StuVe verurteilt den Angriff der Terrororganisation Hamas auf zivile Ziele in Israel sowie die Geiselnahme und gezielte Tötung von Zivilisten durch Terroristen. Sie erkennt das Recht Israels an, sich unter Achtung des humanitären Völkerrechts gegen Angriffe zu verteidigen. Allerdings verurteilt sie, dass die IDF in ihrer Reaktion die Wahrung des humanitären Völkerrechts aktuell nicht sicherstellt [3].


Diese Brüche des Völkerrechts sind besonders kritisch im Zuge der unwidersprochenen Aussagen von Mitgliedern der israelischen Regierung zu sehen, die eine Entmenschlichung nicht nur der Mitglieder der Hamas, sondern der gesamten Palästinensischen Bevölkerung nicht nur in Gaza, sondern auch in besetzen Gebieten propagieren [4]. In diesem Zuge kritisiert der die Studierendenvertretung der LMU auch das Vorgehen gewaltsamer Siedler*innen und die Duldung dieses Vorgehens durch die israelische Regierung und die IDF im Westjordanland [5].

Die StuVe fordert alle Parteien auf, dem humanitären Völkerrecht und dem Schutz der Zivilbevölkerung oberste Priorität einzuräumen.


Das Inkaufnehmen unverhältnismäßig vieler ziviler Opfer, Angriffe auf zivile und humanitäre Ziele, die kollektive Bestrafung der Bevölkerung und der Einsatz von Hunger als Waffe sind durch keine Konfliktpartei zu rechtfertigen. Ebenso sind die Nutzung ziviler Schutzschilde, Überfälle auf zivile Einrichtungen, medizinisches Personal, Presse und Hilfsorganisationen, willkürliche Inhaftierungen und Geiselnahmen sowie Gewalt gegen Inhaftierte und Geiseln nicht tolerierbar.


Als StuVe haben wir die Verantwortung, die Vielfalt unserer Studierendenschaft zu repräsentieren und ihre Belange zu vertreten [6]. Zu unserer Studierendenschaft gehören auch palästinensische und israelische Studierende und Studierende, die sich der einen oder anderen Gruppe verbunden fühlen. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung für unsere wissenschaftliche Institution und sollte als solche geschätzt und respektiert werden.


Betroffene Studierende sind emotional schwer belastet. Wir begrüßen die Hilfsmöglichkeiten, die durch die Universität bereitgestellt werden, und unterstützen betroffene Studierende nach unseren Möglichkeiten. Betroffene können sich, auf Wunsch auch anonym vertreten durch die StuVe, mit ihren Anliegen an die Antidiskriminierungs- und Konfliktbeauftragten für Studierende [7], die PsychosozialeBeratungsstelle des Studierendenwerk es [8], die Beratungsangebote der LMU [9], oder an Vertrauenspersonen der jeweiligen Departments wenden.


Als StuVe möchten wir auch darauf hinweisen, dass die den Konflikt tangierenden Fächer teilweise stark unter Druck geraten sind. Wir fordern weitere Unterstützung für alle Teile der Universitätsgemeinschaft, die Sicherheitsmaßnahmen wünschen, falls sie sich durch die aktuelle Situation einer erhöhten Gefährdungslage ausgesetzt fühlen und befürworten die diesbezüglichen Bemühungen der Hochschulleitung. Wir begrüßen, dass sich die Hochschulleitung mit israelischen Studierenden und Mitarbeitenden solidarisiert, und fordern sie dazu auf, in gleicher Weise palästinensischen Studierenden und Mitarbeitenden ihre Unterstützung auszudrücken.


Die Studierendenvertretung der LMU fordert die anderen Bayerischen Hochschulen und den Landesstudierendenrat Bayern auf, sich ebenfalls mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich eine Position zu bilden.

Für Presseanfragen kontaktieren Sie gerne: geschaeftsfuehrung@stuve.uni-muenchen.de

[1] https://dserver.bundestag.de/btd/20/112/2011283.pdf

[2] https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus

[3] https://www.amnestyusa.org/press-releases/u-s-made-weapons-used-by-government-of-israel-in-violation-of-international-law-and-u-s-law/

https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/

[4] https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf

[5] https://www.hrw.org/de/news/2024/04/17/westjordanland-israel-verantwortlich-fuer-zunehmende-angriffe-gewalttaetiger

[6] https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayHIG-27

[7] https://www.lmu.de/de/die-lmu/arbeiten-an-der-lmu/zusaetzliche-angebote/diversity/antidiskriminierung/ umgang-mit-konflikten.html#st_img_text__master_1

[8] https://www.studierendenwerk-muenchen-oberbayern.de/beratungsnetzwerk/psychotherapeutische-und- psychosoziale-beratung/

[9] https://www.lmu.de/de/workspace-fuer-studierende/support-angebote/

Die Stellungsnahme als PDF